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IACM-Informationen vom 19. Juli 2008

Wissenschaft: Sativex verbessert objektiven neurophysiologischen Marker der Schmerzintensität in einer klinischen Studie

Wissenschaftler der Universität von Rom (Italien) untersuchten in einer Gruppe von 17 Patienten mit multipler Sklerose, die entweder den Cannabisextrakt Sativex oder ein Plazebo erhielten, Veränderungen des so genannten Beugereflexes. Der Beugereflex oder nozizeptive Rückzugreflex ist ein Reflex, der den Körper vor schädlichen Reizen schützen soll. Das klassische Beispiel ist das Zurückziehen eines Körperteils von einem heißen Objekt, wenn er dieses berührt hat. Der Beugereflex ist eine häufig verwendete Technik, um die Schmerzschwelle abzuschätzen und Neurotransmittersysteme, die an der Schmerzkontrolle beteiligt sind, zu untersuchen. Er besteht aus einer Frühreaktion (RII-Reflex) und einer Spätreaktion (RIII-Reflex). Es wird davon ausgegangen, dass die RIII-Reflex-Schwelle der Schmerzschwelle entspricht und dass die Reflexstärke dem Niveau der Schmerzwahrnehmung entspricht.

Nachdem die Patienten den Cannabisextrakt genommen hatten, nahm die RIII-Reflexschwelle zu und der RIII-Reflexbereich nahm ab. Die Autoren folgerten, dass "die Cannabinoid-induzierten Veränderungen bei RIII-Reflexschwelle und -bereich bei Patienten mit MS einen objektiven neurophysiologischen Beweis für die Modulierung des nozizeptiven Systems bei Patienten mit MS liefert".

(Quelle: Conte A, Bettolo CM, Onesti E, Frasca V, Iacovelli E, Gilio F, Giacomelli E, Gabriele M, Aragona M, Tomassini V, Pantano P, Pozzilli C, Inghilleri M. Cannabinoid-induced effects on the nociceptive system: A neurophysiological study in patients with secondary progressive multiple sclerosis. EUR J Pain, 4. Juli 2008 [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck])

Wissenschaft: Nabilon wirksam bei der Behandlung der Erregtheit bei Morbus Alzheimer in einem Fallbericht

Ein Arzt der Klinik für Psychiatrie der Universität von British Columbia (Kanada) berichtete von einer dramatischen Verbesserung der Erregtheit bei einem 72-jährigen Mann mit Morbus Alzheimer durch geringe Nabilon-Dosen. Der Patient entwickelte drei Jahre nach der Diagnosestellung Verhaltenssymptome, inklusive Umherwandern, Erregtheit und Aggressionen. Er wurde in ein Pflegeheim gebracht, und es wurde eine Anzahl von Medikamenten zur Kontrolle seines Verhaltens ausprobiert, inklusive Gabapentin, Trazodon und Quetiapin. Diese Medikamente hatten keinen oder nur einen geringen Einfluss auf seine Symptome, der Patient entwickelte jedoch starke Nebenwirkungen. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Seine starken Aggressionen gegenüber dem Personal während der Körperpflege erforderten die regelmäßige Verwendung des Beruhigungsmittels Lorazepam, mit variabler Wirkung. Nachdem Trazodon durch Citalopram ersetzt worden war, trat eine leichte Verbesserung der Erregtheit auf, es blieb jedoch eine starke Ruhelosigkeit bestehen.

Es wurde mit dem synthetischen THC-Abkömmling Nabilon in einer Dosis von 0,5 mg am Abend begonnen, was zu einer sofortigen Reduzierung der Stärke der Erregtheit und Ruhelosigkeit während der abendlichen Körperpflege führte. Die Nabilon-Dosis wurde auf zweimal 0,5 mg täglich gesteigert, um die Durchführung der Körperpflege zu erleichtern, und seine Ruhelosigkeit verbesserte sich weiter, ohne das Auftreten von Nebenwirkungen. Nach sechs Wochen einer dramatischen Verbesserung in allen Aspekten der Verhaltenssymptome wurde der Patient in das Pflegeheim entlassen. Drei Monate später waren die Verhaltenssymptome des Patienten weiterhin gut kontrolliert. Der Autor dieses Fallberichts stellte fest, dass "es gegenwärtig wenige - wenn es überhaupt welche gibt - verfügbare Möglichkeiten für Patienten mit anhaltender Demenz-bedingter Erregtheit und Aggression gibt, die eine sofortige Linderung durch die Medikation bewirken, gut vertragen werden und sicher bei langzeitiger Verwendung sind".

(Quelle: Passmore MJ. The cannabinoid receptor agonist nabilone for the treatment of dementia-related agitation. Int J Geriatr Psychiatry 2008;23(1):116-7.)

Österreich: Entkriminalisierung von Cannabis für den Eigenbedarf unabhängig von der Menge

Ein aktuelles Gerichtsurteil beleuchtet die Konsequenzen des neuen Suchtmittelgesetzes. Obwohl er mehr als zehn Kilo Cannabiskraut geerntet hatte, ging ein Österreicher straffrei aus. Die Staatsanwaltschaft stellte kürzlich das Verfahren gegen den Mann unter einer Probezeit von zwei Jahren ein. Denn nach dem neuen Suchtmittelgesetz muss die Anklagebehörde von der Strafverfolgung zurücktreten (Diversion), wenn der Verdächtige das Suchtmittel "ausschließlich für den persönlichen Gebrauch" besessen hat. Sollte der Betroffene innerhalb der Probezeit erneut mit Cannabis erwischt werden, droht ihm allerdings eine Anklage, denn der Besitz von Cannabis ist auch unter dem neuen Gesetz nicht legal.

Bis zum Jahreswechsel war nach dem alten Gesetz die Verfahrenseinstellung nur möglich, wenn der Verdächtige eine "geringe Menge" besessen hatte - bei Cannabis waren dies, wie auch in Deutschland, Mengen im Gramm-Bereich. Das seit Anfang des Jahres bestehende Gesetz stellt nun nicht mehr auf eine bestimmte Menge, sondern nur noch auf die persönliche Verwendung ab. Im aktuellen Fall, bei dem der Betroffene ein angeblich "zufällig gefundenes" Hanffeld abgeerntet hatte, waren die Indizien für einen Drogenhandel nicht ausreichend. Grund für die Novelle des Suchtmittelgesetzes ist laut eines Mitarbeiters des Justizministeriums ein EU-Rahmenbeschluss über die Bekämpfung des Drogenhandels. Demnach seien die Gesetze gegen Dealer verschärft worden. Allerdings habe es auch einer stärkeren Abgrenzung des Handels gegenüber dem Besitz für den reinen Eigenbedarf bedurft.

Mehr unter:
www.nachrichten.at/regional/705256?PHPSESSID=7bcf2b7f4067d1e6acf5009be45df31a

(Quelle: www.nachrichten.at vom 2. Juli 2008)

Kurzmeldungen

Wissenschaft: Cannabisextrakt
Nach Forschung der Universität von Mailand (Italien) war ein Cannabisextrakt (Sativex) bei Tieren wirksamer bei der Reduzierung neuropathischer Schmerzen als alleiniges Dronabinol (THC). Dieser zusätzliche Effekt wurde nicht durch Cannabinoidrezeptoren vermittelt, sondern durch Vanilloidrezeptoren. Da Cannabidiol (CBD) die einzige Komponente war, die in einer hohen Konzentration in dem Extrakt vorlag und in der Lage ist, an diesen Rezeptor zu binden, nehmen die Forscher an, dass CBD für diese zusätzliche analgetische Wirkung verantwortlich war. (Quelle: Comelli F, et al. Phytother Res, 10. Juli 2008 [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck])

Schweiz: Hanfinitiative
Am 30. November 2008 entscheiden die Schweizer in einer Volksabstimmung über die Initiative "für eine vernünftige Hanfpolitik mit wirksamem Jugendschutz", die den Konsum psychoaktiver Substanzen der Hanfpflanze sowie Besitz, Erwerb und Anbau für den Eigengebrauch straffrei erklären würde. Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) empfiehlt ihren Wählern eine Ablehnung, die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) und die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) empfehlen ihren Wählern eine Zustimmung zur Initiative. (Quelle: 20min.ch vom 28. Juni 2008)

USA: Drogenpolitik
Nach einem Aufsatz des früheren Budgetdirektors des Büros für nationale Drogenkontrollpolitik des Weißen Hauses (ONDCP, Office of National Drug Control Policy) basieren Behauptungen des ONDCP, die USA mache "Fortschritte" im so genannten "Krieg gegen die Drogen" nicht auf der Realität. Das ONDCP "behauptet, dass Amerika einen Umkehrpunkt beim Krieg gegen die Drogen erreicht hat. In der Realität gibt es wenig Grund anzunehmen, dass eine signifikante Änderung eingetreten ist", schreibt John Carnevale. "Obwohl der Kongress das ONDCP eingerichtet hat, um eine forschungsgeleitete und leistungsbasierte Politik zu formulieren, die Politik nach Leistungsmaßzahlen zu beurteilen und zu verändern, ... versagt das ONDCP bei allen diesen Aufgaben", fährt er fort. (Quelle: NORML vom 17. Juli 2008)

Italien: Rastafari
Italiens Kassationsgericht hat am 10. Juli geurteilt, dass, da die Rastafari-Religion Cannabis als ein Sakrament betrachte, seine Mitglieder eine besondere Beurteilung erhalten sollten, wenn es um den Besitz geht - und wie viel jemanden zu einem Drogenhändler macht. Der Fall vor den Richtern betraf einen Reggae-Musiker, der durch ein niedrigeres Gericht in Perugia zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, nachdem bei ihm Cannabis in einer Menge gefunden worden war, um daraus 70 Zigaretten drehen zu können. Das Kassationsgericht annullierte dieses Urteil und erklärte, dass diese Menge dem Eigenbedarf entsprechen könne, betrachte man die großen Mengen, die Rastafari rauchen. Es ordnete an, dass ein Berufungsgericht in Florenz den Fall überprüfen soll. (Quelle: Reuters vom 10. Juli 2008)

Argentinien: Eigenbedarf
Jüngst hat ein argentinisches Berufungsgericht (Cámara Federal) die Verurteilung eines Mannes, der Cannabis für den Eigenbedarf auf dem Balkon angebaut hat, für nicht verfassungsgemäß erklärt und das Urteil eines niedrigeren Gerichtes aufgehoben. (Quelle: www.asteriscos.tv vom 10. Juni 2008)

Wissenschaft: Leukämie
Wissenschaftler der Universität von London (Großbritannien) fanden synergistische Wirkungen von Dronabinol (THC) und zytotoxischen Substanzen, die bei der Behandlung der Leukämie verwendet werden. Dronabinol sensibilisierte Leukämiezellen für diese zytotoxischen Medikamente. Sie schlossen daraus, dass "eine Kombinationsbehandlung mit THC und etablierten zytotoxischen Substanzen den Zelltod in vitro verstärken kann". (Quelle: Liu WM, et al. Leuk Lymphoma, 30. Juni 2008 [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck])

Wissenschaft: Schmerzen
Dänische Forscher verglichen die analgetischen Wirkungen niedriger Dosen eines synthetischen Cannabinoids (WIN55,212-2) bei Krebs bedingten und neuropathischen Schmerzen bei Tieren. Eine 18-tägige Behandlung reduzierte das schmerzbezogene Verhalten im Krebsschmerzmodell, jedoch nicht im Modell für neuropathische Schmerzen. (Quelle: Hald A, et al. Pharmacol Biochem Behav, 20. Juni 2008 [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck])

Wissenschaft: Neues Pro-Pharmakon von THC
Forscher der Universität von Mississippi (USA) untersuchten Möglichkeiten zur Stabilisierung eines hitzelabilen neuen Pro-Pharmakons von THC, THC-Hemiglutarat (THC-HG). Diese THC-Verbindung wurde mittels eines Schmelzverfahrens für die systemische Verabreichung von THC über die Mundschleimhaut entwickelt. (Quelle: Thumma S, et al. EUR J Pharm Biopharm, 18. Juni 2008 [elektronische Veröffentlichung vor den Druck])

Wissenschaft: Gewalt im Fernsehen
Nach Forschung an der Universität von New York war das Ansehen von gewalttätigen Fernsehprogrammen in der späten Jugendzeit mit einer späteren Nikotinabhängigkeit und einer späteren Abhängigkeit von illegalen Drogen assoziiert. (Quelle: Brook DW, et al. Am J Addict 2008;17(4):271-7.)

Blick in die Vergangenheit

Vor einem Jahr

Vor zwei Jahren

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