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IACM-Informationen vom 19. Februar 2000

Deutschland: Bundesverfassungsgericht nimmt Verfassungsbeschwerde von acht Patienten nicht an / Anträge beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geplant

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss vom 20. Januar, der am 8. Februar veröffentlicht wurde, die Verfassungsbeschwerde von acht Personen, die an schweren Erkrankungen (Multiple Sklerose, HIV, Hepatitis C, Epilepsie u.a.) leiden, aus formalen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen. Mit ihrer Beschwerde vom 14. Dezember wollten die Patienten erreichen, dass sie zur Linderung ihrer Leiden Cannabisprodukte legal medizinisch verwenden dürfen.

Die Beschwerdeführer hätten zunächst den Rechtsweg ausschöpfen müssen, erklärten die Richter in ihrer Begründung. Dazu zähle ein Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Berlin, eine Behörde des Bundesgesundheitsministeriums, sowie ein Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz bei den Gerichten gegen Ermittlungen der Polizei oder Staatsanwaltschaft.

Das deutsche Betäubungsmittelgesetz erlaubt die Verwendung von Cannabis nur zu "wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken". Bisher galt ein Antrag auf eine individuelle Behandlung mit Cannabis beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als aussichtslos.

Das Bundesverfassungsgericht stellte jedoch in seiner Begründung fest: "Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist danach auch ein öffentlicher Zweck, der im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis (...) rechtfertigen kann." Ein entsprechender Antrag sei daher "nicht von vornherein aussichtslos".

Der Beschluss wurde in den deutschen Medien vielfach sehr optimistisch aufgenommen und als eine realistische Option für die Erlangung einer Erlaubnis zur medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten interpretiert. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit der Erlangung einer solchen Ausnahmegenehmigung jedoch gering, da die im Betäubungsmittelgesetz festgelegten Anforderungen an eine solche Erlaubnis sehr hoch sind. Allerdings hat der Tenor in den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts die öffentliche Diskussion um die medizinische Verwendung von Cannabis positiv beeinflusst.

Prof. Lorenz Böllinger, Dekan der juristischen Fakultät der Universität Bremen, der die Beschwerdeführer vertritt, erklärte: "Die Entscheidung zeigt trotz der Nichtannahme, dass das Bundesverfassungsgericht die Option einer medizinischen Behandlung mit Cannabis ernst nimmt und bemüht ist, dafür einen gangbaren Weg aufzuzeigen. Gegebenenfalls muss eine ablehnende Entscheidung des Bundesinstituts dann vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden. Im äußersten Falle bleibt eine erneute Verfassungsbeschwerde."

Dr. Franjo Grotenhermen von der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, der die medizinischen Begründungen anfertigte, sagte: "Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sich zukünftig weiterhin so strikt ablehnend verhält wie bisher. Die Ausführungen des Gerichts können als weiterer Ansatzpunkt gesehen werden, der Bewegung in die unbefriedigende rechtliche Situation bringen kann und daher genutzt werden sollte."

Es ist nun geplant, einige gut vorbereitete Anträge beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Erlaubnis auf eine medizinische Verwendung von Cannabisprodukten zu stellen. Zudem sollen Anträge bei den zuständigen Oberlandesgerichten auf vorbeugenden Rechtsschutz gegen polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Maßnahmen gestellt werden.

Bereits jetzt scheint der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts praktische Wirkungen zu zeigen. In der letzten Woche wurde das Strafverfahren eines Mannes mit Hepatitis C und Diabetes, der zudem nierendialysepflichtig ist, wegen Cannabisbesitzes eingestellt. Der Staatsanwalt erklärte, "er werde sich hüten, eine Strafe zu beantragen".

(Quellen: dpa vom 8. und 10. Februar 2000, Ärztezeitung vom 9. Februar 2000, Frankfurter Rundschau vom 9. Februar 2000, Die Tageszeitung vom 9. Februar 2000, Süddeutsche Zeitung vom 10. Februar 2000)

Kanada: Razzia in einem Marihuana-Klub

Am 10. Februar verhaftete die Polizei zwei Angestellte des Compassion Clubs in Montreal und beschlagnahmte die Namen von 27 Ärzten, die ihren kranken Patienten Cannabis empfohlen hatten. Der Compassion Club hat Ableger in Toronto und Vancouver.

Marc St. Maurice und Alexandre Neron erschienen am 11. Februar wegen des Besitzes von 66 Gramm Marihuana mit der Absicht des Handeltreibens vor Gericht. Sie werden erneut am 13. März vor Gericht erscheinen. Die Razzia eröffnet zudem die Möglichkeit, Ärzte wegen der Empfehlung von Cannabis strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Die Polizei konfiszierte Beweise über Ärzte, die 33 Patienten Marihuana empfohlen hatten, und übergab sie der Staatsanwaltschaft.

Gesundheitsminister Allan Rock, der sich in Montreal aufhielt, um eine zunehmende Unterstützung für die medizinische Forschung anzukündigen, wollte die Verhaftungen nicht kommentieren. Er versuche jedoch die Verwendung von Marihuana für medizinische Zwecke auszuweiten. "Ich denke, es ist der bessere Ansatz, ihnen Zugang zu Marihuana aus einer Regierungsquelle zu ermöglichen, das sicher und sauber ist," erklärte er. Die Regierung hat im letzten Herbst 20 Personen Ausnahmegenehmigungen für die Verwendung von Marihuana zu therapeutischen Zwecken erteilt.

(Quellen: Globe and Mail vom 12. Februar 2000, Vancouver Sun vom 12. Februar 2000)

Kanada/USA: Kanadisches Gericht bestimmt Ausweisung von Renee Boje

Am 9. Februar bestimmte der Oberste Gerichtshof von British Columbia die Ausweisung von Renee Boje nach Los Angeles, wo ihr eine Verurteilung wegen Drogenvergehens zu mindestens 10 Jahren Gefängnis droht. Die Justizministerin muss nun entscheiden, ob es Gründe gibt, die dagegen sprechen, die 30jährige Künstlerin, die im Mai 1998 mit einer Besuchserlaubnis nach Kanada kam, nach Hause zu schicken.

Boje wurde im Juli 1997 zusammen mit anderen Marihuana-Unterstützern verhaftet worden, nachdem US-Bundesbehörden Tausende von Marihuanapflanzen in einem Haus von Krebspatient Todd McCormick in Bel-Air (Kalifornien) entdeckt hatten. Die Polizei behauptete, gesehen zu haben, wie sie und eine andere Frau an einem Tag die Pflanzen gewässert habe. Sie fertigte Skizzen von Marihuanapflanzen für ein Buch von McCormick über den Anbau von Marihuana an.

Boje kam 1998 auf Anraten ihres Anwaltes nach Kanada, nachdem die Beschuldigungen kurzzeitig zurückgezogen worden waren. Sie wartet weiterhin auf eine Anerkennung als Flüchtling, da sie der Ansicht ist, ein Opfer politischer Verfolgung der US-Bundesbehörden zu sein, die nicht anerkennen wollen, das die kalifornischen Wähler 1996 ein Referendum verabschiedet haben, nach dem Marihuana für bestimmte medizinische Zwecke angebaut werden darf.

Weitere Informationen: www.thecompassionclub.org/renee/.

(Quellen: The Province vom 10. Februar 2000, Vancouver Sun vom 10. Februar 2000, NORML vom 10. Februar 2000)

Kurzmeldungen

USA:
Ein Gesetzgebungsverfahren, das die medizinische Verwendung von Marihuana für bestimmte medizinische Zustände legalisieren würde, wurde im Senat von Iowa eingeleitet. Auch in Maryland war ein ähnlicher Gesetzesvorschlag eingebracht worden. Zudem gibt es zwei ähnliche Gesetzesvorschläge in Hawaii. Seit 1996 haben Wählerinitiativen in Kalifornien, Arizona, Washington, Oregon, Alaska und Maine zur Legalisierung von Marihuana für medizinische Zwecke geführt. Die Bürger von Colorado und Nevada werden im kommenden November über ähnliche Initiativen abstimmen.
(Quellen: NORML vom 10 Februar 2000, Honolulu Star-Bulletin vom 16. Februar 2000)

USA:
Ein spastisch gelähmter Mann wurde in Augusta wegen Marihuanabesitzes zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Louis E. Covar, der an den Rollstuhl gefesselt ist, da er die Muskulatur unterhalb seiner Schultern nicht kontrollieren kann, erklärte, er verwende die illegale Droge aus medizinischen Gründen. Er wurde im letzten März wegen Marihuanabesitzes zu sieben Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, unter der Bedingung, dass er das Marihuana bei sich behalte. Am 17. Februar hob ein Richter jedoch die Bewährung auf, da er die Droge verkauft habe. Nach NORML wurde in der letzten Woche eine weitere schwerbehinderte Person, Deborah Lynn Quinn aus Arizona, zu einem Jahr Gefängnis wegen des Verstoßes gegen Bewährungsauflagen verurteilt, als man etwa 100 Gramm Marihuana bei ihr gefunden hatte.
(Quellen: AP vom 18. Februar 2000, NORML vom 17. Februar 2000)

Großbritannien:
Eine Multiple-Sklerose-Kranke, die Cannabis raucht, wurde zum zweiten Mal wegen Drogenkonsums verurteilt. Lezley Gibson, 35, von Alston, Cumbria, wurde bereits vor 10 Jahren wegen Cannabisbesitzes verurteilt. Sie erklärte, dass die Droge ihr bei der Bewältigung der Symptome ihrer Krankheit, die im Alter von 20 Jahren diagnostiziert wurde, helfe. Ein Richter verurteilte sie zu einer Bewahrungsstrafe von zwei Jahren.
(Quelle: PA News vom 18 Februar 2000)

Blick in die Vergangenheit

Vor einem Jahr

Vor zwei Jahren

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