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ACM-Mitteilungen vom 08. Dezember 2007

Weigerung der Krankenkassen zur Kostenübernahme von Dronabinol bei Appetitlosigkeit von Krebspatienten ist mit einem vorzeitigen Tod durch Verhungern verbunden

Ein Artikel in den Potsdamer Neuesten Nachrichten unter dem Titel "200-Euro-Tropfen gegen das Verhungern - Die AOK verweigert einem Krebspatienten die Kostenübernahme für ein Cannabis-Medikament" vom 3. Dezember weist auf die Folgen einer Verweigerung der Kostenübernahme für THC bei appetitlosen Krebspatienten hin.
Etwas länger als ein Jahr galt, was das Landesgesundheitsministerium den Hinterbliebenen eines an Krebs verstorbenen Potsdamers im November 2006 als Antwort auf ihren offenen Brief an Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) schrieb. Eva-Maria und Katja Möller hatten in ihrem Brief geschildert, dass ihr Mann und Vater Bernd Möller ohne das Cannabis-haltige Medikament Dronabinol "verhungern, qualvoll leiden und früher hätte sterben müssen".
Im Antwortbrief des Gesundheitsministeriums hieß es, das Medikament Dronabinol, dessen Kosten von den gesetzlichen Krankenversicherungen im Land Brandenburg und in weiteren Ländern bislang nicht übernommen wurden, könne bei schweren Krankheitsverläufen von den behandelnden Ärzten doch verschrieben werden. Dabei bezog sich das Ministerium auf eine Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums, wonach "eine Verordnung von Dronabinol zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung in Ausnahmefällen möglich ist".
Damals frohlockte der Babelsberger Schmerztherapeut Knud Gastmeier. Es gebe nun Rechtssicherheit, die Krankenkassen könnten die Behandlung von lebensbedrohlicher Appetitlosigkeit infolge einer Tumorerkrankung mit Dronabinol nicht mehr pauschal ablehnen.
Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Brandenburg hat es nun doch getan. AOK-Sprecher Jörg Trinogga bestätigte den PNN, dass sie dem Stahnsdorfer Krebspatienten Bert von Heydebreck die Kosten der Behandlung mit Dronabinol nicht erstattet. "Wir dürfen nicht", erklärt Trinogga, die rechtlichen Grundlagen fehlten. Ein Widerspruch seitens des Patienten sei bereits abgelehnt worden. Von Heydebreck könne nun den Klageweg bestreiten. Trinogga verweist auf ein Urteil des Bundessozialgerichtes vom 27. März 2007, nach dem sowohl cannabinoid-haltige Fertig- als auch Rezepturarzneimittel keine Kassenleistung seien. Die Folge des Urteils können für die Patienten verheerend sein. Dr. Gastmeier berichtet über den Fall eines Patienten, der zunächst von Dronabinol profitieren konnte, sich dann aber entschloss, die Behandlung abzubrechen. Das Geld solle für seine Frau bleibennach seinem Tod. Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Sterbehilfediskussion sei die Situation perfide: "Die Patienten können sich umbringen, in dem sie das Medikament nicht einnehmen." Palliativmedizin bedeute, gerade den Hunger zu behandeln, so Dr. Gastmeier: "Und zwar frühzeitig und effektiv."
Auch Bert von Heydebreck hat versucht "zu sparen", wie er den PNN erzählte. Er nahm anstatt der vier bis fünf Tropfen nur noch zwei am Tag. Plötzlich war der Effekt des Medikaments, dass Tetrahydrocannabinol (THC) enthält, "gleich null". Daraufhin habe er die Dosis wieder erhöht. "Jetzt geht es wieder ganz gut", sagt von Heydebreck. Verschrieben wurde ihm das Medikament zur Schmerzbehandlungdoch der wichtigste Effekt ist die Appetitsteigerung. Von Heydebreck: "Die meisten Krebspatienten verhungern, weil sie kein Essen mehr runter kriegen." Vor Wochen, ohne die hinreichende Dosis, habe er nur noch 67 Kilogramm gewogen, um die 100 Kilogramm seien für den 1,82 großen Mann jedoch normal. "Jetzt gehts wieder bergauf", sagt der 63-Jährige. Das betrifft seinen gesundheitlichen Allgemeinzustandnicht aber seine Finanzen. Wie von Heydebreck erläutert, reiche ein Zehn-Milliliter-Fläschchen drei Wochen und kostet über 200 EURo. Von Heydebreck: "Das ist nicht billig für jemanden mit kleiner Rente." Gegen die AOK-Ablehnung der Kostenübernahme werde er aber nicht klagen: "Wenn ich verliere, muss ich die Gerichtskosten bezahlen und das kann ich nicht." Gleichwohl äußerte er sich enttäuscht über das solidarische Versicherungssystem Krankenkasse: "Hier geht es um Menschenleben", sagt von Heydebreck. Ohne Dronabinol "wäre die Sache in wenigen Wochen gelaufen", er wäre schlicht verhungert. Aus seiner Sicht ist auch folgender Satz nachvollziehbar: "Darauf warten die Kassen", so der Krebspatient.
Am Freitagnachmittag erklärte AOK-Sprecher Jörg Trinogga, er habe seine Kollegen gebeten, für den Fall des Stahnsdorfers Bert von Heydebreck die Kostenübernahme von Dronabinol in dieser Woche noch einmal zu prüfen.
(Quelle: Postdamer Neueste Nachrichten vom 3. Dezember 2007)

Palliativmediziner warnen vor Verschlechterung der ärztlichen Versorgung chronisch Kranker durch die neue Gebührenordnung

In einer gemeinsamen Presseinformation der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS) und des Palliativnetzes Bochum vom 4. Dezember 2007 weisen beide Institutionen darauf hin, dass die neue Gebührenordnung die Palliativversorgung gefährde und Spezialisten den Patienten raten, ihre Krankenkasse zu kontaktieren.
Mit der neuen Gebührenordnung für niedergelassene Ärzte, die zum 1.1.2008 in Kraft tritt, wird die Versorgung chronisch kranker und insbesondere sterbenskranker Menschen für den Arzt endgültig unwirtschaftlich. Mit der sog. "Versichertenpauschale" – in Medizinerkreisen bereits als "Blickpauschale" tituliert – wird dann alles abgegolten: egal ob ein Zweiminutentermin wegen eines Schnupfens oder die umfangreiche Versorgung eines todkranken Patienten. "Es wird immer schlimmer", stellt Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns, Vorsitzender des Palliativnetzes Bochum, fest, "die letzte Gebührenordnung definierte zumindest noch für den Hausarzt ein Zusatzentgelt für die palliativmedizinische Begleitung." Selbst das wurde jetzt ersatzlos gestrichen, die Begleitung sterbenskranker Menschen offensichtlich schlicht vergessen. "Es mutet schon als Zynismus an, wie gerade Sterbende und völlig Wehrlose von dieser Gebührenordnung behandelt werden", sagte Prof. Dr. Michael Zenz, Präsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V.
Zur palliativen Versorgung – der Begleitung von Patienten mit einer nicht heilbaren, weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung – gehören Leistungen wie die Verordnung häuslicher Krankenpflege, Infusionen, Transfusionen, das Legen von Magensonden oder Kathetern, Punktionen von Lungenwasser oder Bauchwassersucht, Verbände, oder die Behandlung mit Lokalanästhetika. "Alles das ist künftig praktisch ehrenamtlich zu leisten", so Dr. Thöns. Der Arzt, der den Patienten kurz berät, erhält das gleiche niedrige Honorar, wie der Arzt, der seinen Patienten umfangreich versorgt. Ob Besuche noch zu einem Benefit für den engagierten Arzt führen, wird derzeit heftig diskutiert, bereits jetzt wurde allerdings beschlossen, dass Zusatzentgelte für die unvorhergesehene Inanspruchnahme des Arztes (sog. Notfallpauschale) nur maximal zweimal alle drei Monate abgerechnet werden dürfen. "Wer glaubt, hier sei der Arzt maximal zweimal notwendig, ist naiv", so Prof. Zenz.
Besonders kurios mute die Streichung sämtlicher Zusatzentgelte für die Palliativversorgung vor dem Hintergrund an, dass erst seit dem 1.4.2007 alle Patienten einen gesetzlichen Anspruch auf "spezialisierte ambulante Palliativversorgung" haben. Es wurde eigens ein neuer Paragraph 39a in das Sozialgesetzbuch integriert. "Sowohl das Bundesverfassungsgericht wie das Bundesverwaltungsgericht haben darauf hingewiesen, dass die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und auf Menschenwürde verletzt werden, wenn einem Patienten eine nach dem Stand der medizinischen Forschung prinzipiell zugängliche Therapie, mit der eine wesentliche Linderung seines Leidens erreicht werden kann, versagt wird", verdeutlichte Klaus Kutzer, Richter am Bundesgerichtshof a. D., im Oktober in Bochum. "Recht und Rechtsansprüche sind leider nur sehr bedingt geeignet, die Wirklichkeit zu verändern und zu prägen", fügte er hinzu. "Hier müssen wohl erst Patienten oder ihre Angehörigen die Sozialgerichte bemühen. Dieser Weg ist allerdings kostenfrei."
Die vollständige Pressemitteilung findet sich auf der Internetseite:
Pressemitteilung von DGSS und Palliativnetz Bochum vom 4. Dezember 2007

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